Rassismus ist nicht nur eine Ideologie der Rechten, sondern tief in der Gesellschaft – so auch im Ausbildungs- und Arbeitsalltag – verankert. Wenn wir wollen, dass sich die Vielen gesellschaftlich einbringen und als Teil der Arbeiter:innenbewegung gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit stark machen, müssen wir uns mit Rassismus auseinandersetzen, ihn benennen und bekämpfen.
Durch und durch divers
Wien ist eine vielfältige Stadt: Rund 51 Prozent der Bevölkerung haben einen sogenannten Migrationsbezug. Im Arbeitsleben stellen Personen mit Migrationshintergrund rund 43 Prozent der Erwerbstätigen und 53 Prozent des Arbeitskräftepotenzials. Die Begriffe Migrationsbezug und Migrationshintergrund sind jedoch nur bedingt geeignet, um diese Realität zu beschreiben. Denn in den Statistiken werden beispielsweise deutsche Migrant:innen ebenso erfasst wie syrische oder nigerianische – obwohl sich ihre gesellschaftlichen Positionierungen und Diskriminierungserfahrungen stark unterscheiden. Nicht alle von ihnen erleben Rassismus.
Alltag voller Vorurteile
Emma freute sich nach der langen und ereignisreichen Reise auf ihr zu Hause. Der Polizist am Flughafen Wien gab ihrer Freundin – weiß, mit hellbraunem Haar und blauen Augen – nach der Passkontrolle mit einem Nicken und einem „Willkommen daheim“ zu verstehen, dass sie weitergehen durfte. Sie selbst, Schwarz und in Österreich geboren, war als Nächste an der Reihe und reichte dem Polizisten ihren (österreichischen) Pass. Auch Emma durfte nach einem knappen Nicken passieren – diesmal begleitet von einem „Good Day“. Ihr leicht irritiertes „Ebenso“ wurde mit einem ebenso irritierten Blick quittiert. Die Annahme, sie spreche kein Deutsch, ärgerte sie – eines der vielen Vorurteile, mit denen sie aufgrund ihrer Hautfarbe regelmäßig konfrontiert wird.
Nicht dein Zuhause
Ist das jetzt ein rassistischer Vorfall? Viele würden sagen: Nein, da hat jemand einen Fehler gemacht. Denn Rassismus wird oft ausschließlich als Problem der Rechten verstanden – als bewusste, hassgetriebene Tat einzelner „schlechter“ Menschen. In diesem Beispiel wurde niemand beschimpft, auch Gewalt war keine im Spiel und was der Grenzbeamte politisch denkt, wissen wir nicht. Dennoch ist es kein Zufall, dass gerade diese Person auf Englisch angesprochen wurde. In dieser Interaktion haben Vorurteile dazu geführt, dass Emma als Schwarze Frau nicht als Deutsch sprechende Österreicherin wahrgenommen wurde. Diese Vorurteile beruhen auf Vorstellungen darüber, wie Österreicher:innen aussehen. Emma wurde in diesem Fall zu verstehen gegeben, dass sie nicht wirklich dazu gehört. Sie wurde fremdgemacht. Diesen Mechanismus nennt man Othering, er ist eine Form des alltäglichen Rassismus.
Wie funktioniert Rassismus?
In der Forschung und Theoriebildung wird Rassismus nicht nur als individuelles Vorurteil oder extreme politische Haltung verstanden. Rassismus ist viel mehr als das. Denn Betroffene werden wie im Beispiel eingangs fremdgemacht und verwiesen. Ihnen wird zu verstehen gegeben: „Du gehörst eigentlich woanders hin“. So werden ein Wir und ein die Anderen konstruiert. Diese beiden Gruppen werden oft (unbewusst) als inhärent unterschiedlich und in weiterer Folge als miteinander unvereinbar wahrgenommen. Weiters werden Betroffene stereotypisiert, womit man ihnen Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung abspricht. Ein weiterer Aspekt von Rassismus ist, dass sich Betroffene selbst als defizitär oder Problem in der Gesellschaft erleben, weil man in erster Linie als Problem über sie spricht und medial berichtet. Genau diese Erfahrung gehört in Wien für einen erheblichen Teil der Bevölkerung zum Ausbildungs- und Arbeitsalltag.
Woher kommt Rassismus?
Dementsprechend ist Rassismus nicht nur als Vorurteil, sondern auch als gesellschaftlicher Diskurs zu verstehen, der unsere Welt prägt. Zugleich ist er ein strukturelles Verhältnis, über das Rechte, Zugehörigkeit, Ressourcen und Macht ungleich verteilt werden. Rassismus ist tief in unsere Gesellschaft eingeschrieben – beispielsweise durch Vorstellungen darüber, wer für welche (Erwerbs-)Tätigkeiten geeignet ist und wem bestimmte Fähigkeiten abgesprochen werden. Diese Denkmuster haben sich historisch entwickelt, als Erklärung für und Legitimierung von Versklavung, Kolonialisierung, Arbeitsmigration und struktureller Ausgrenzung. Durch gesellschaftliche Institutionen wie Wissenschaft, Schule, Medien und Kultur wurde er über Jahrhunderte hinweg erlernt, verfestigt und weitergegeben. Rassistische Diskurse und Verhältnisse werden nicht nur durch Gesetze und machtvolle Institutionen festgeschrieben. Sie werden auch in kleinen alltäglichen Interaktionen – oft unterbewusst – reproduziert. Das können auch scheinbar harmlose Fragen zu Aussehen, Herkunft, Sprache etc. sein.
Alltag voller Diskriminierung
Stell dir vor, du suchst eine Wohnung. Wenn dein Name Muhammad Asif lautet, wirst du seltener oder später zur Besichtigung eingeladen als jemand mit dem Namen Michael Gruber (Paired Ethnic Testings). Auch Jobbewerbungen Schwarzer Männer mit nigerianischen Namen werden häufiger abgelehnt als jene mit „typisch“ österreichischen Namen – selbst bei gleicher Qualifikation (Correspondence Testing). Rassistische Diskriminierung zeigt sich auch im Berufsleben, etwa durch schlechtere Bezahlung, ausbleibende Beförderungen oder Rufschädigung. Zudem machen migrantisch gelesene Personen häufiger negative Erfahrungen mit Polizei und Behörden und werden überdurchschnittlich oft in die Mittelschule statt ins Gymnasium geschickt – basierend auf einem vermeintlich objektiven Kriterium: den Schulnoten. All das wird durch zahlreiche Studien belegt und bedeutet, dass rassistische Diskriminierung in allen Lebensbereichen unseres Alltags stattfindet.
Die Folgen von Rassismus
Rassismus wirkt hier wie ein sozialer Platzanweiser. Niemand muss etwas aktiv tun, es braucht kein offenes Bekenntnis zur Ausgrenzung – die Mechanismen greifen scheinbar automatisch. Noten gelten als objektiv, doch sie führen systematisch dazu, dass weiße Kinder mit christlichem Hintergrund im Gymnasium landen, während schwarze, muslimische oder anders markierte Kinder überproportional in die Mittelschule gehen. Die Gesellschaft – einschließlich des Arbeitsmarkts – wird so rassistisch segmentiert. Denn der formale Bildungsgrad entscheidet meist darüber, wer später welchen Beruf ausübt: Wer macht tendenziell die körperlich anstrengende, schlecht bezahlte Arbeit? Wer putzt Büros, liefert Essen aus oder bringt Amazon-Pakete? Und wer wird zum Sündenbock, wenn etwas in der Gesellschaft nicht funktioniert?
Rassismus als Erklärung
Auch heute prägt Rassismus das politische Klima. Kaum ein gesellschaftliches Problem wird nicht mit Migration verknüpft. Migrant:innen – vor allem muslimische – werden zu den unpassenden, mit „unserer“ Gesellschaft unvereinbaren Anderen und als Störfaktor für das nationale Wir stilisiert. Eine weitere zentrale Funktion von Rassismus: Er bietet falsche Erklärungen, um die Welt zu verstehen. Vor allem in Zeiten von Krisen wird Rassismus genutzt, um einfache Deutungen für komplexe Fragen anzubieten. Aktuell lautet diese allzu oft: „Migration ist die Mutter aller Probleme“ (Seehofer 2018, damals deutscher CSU-Innenminister).
Wer ausgeschlossen wird, kann nicht mitgestalten
Wenn ganze soziale Gruppen in erster Linie als Problem adressiert werden, kann man sie nicht als Mitstreiter:innen gewinnen. Wer möchte, dass Menschen sich gesellschaftlich einbringen, engagieren oder wählen gehen (sofern sie dürfen), muss sich mit der umfassenden Realität des Rassismus auseinandersetzen und ihm entgegentreten. Das beginnt mit dem Erkennen und der Benennung des Problems. Denn wer systematisch fremdgemacht und problematisiert wird, dem wird auch vermittelt: Du bist nicht Teil dieser Gesellschaft, die wir verbessern wollen.