Baut Berufs­bildung aus!

14. November 2025

Berufsbildende Schulen zählen zum Rückgrat der österreichischen Fachkräfteausbildung. In den bundesweit mehr als 700 berufsbildenden mittleren und höheren Schulen lernen derzeit jene jungen Menschen, die bald als Expert:innen in Technik, IT, Wirtschaft oder Sozial- und Dienstleistungsberufen das Land mit am Laufen halten werden. Doch während die Zahl der Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen künftig steigen wird, bleibt der geplante Aus- und Neubau dieser Schulen hinter dem Bedarf zurück.

Steigende Relevanz berufsbildender Schulen

Die Berufsbildung hat in Österreich tiefe Wurzeln, die bis in die Tradition der Zünfte zurückreichen. Spätestens in den 1970er Jahren aber wurden berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS) zu einer tragenden Säule des Bildungssystems. Mit dem damaligen „Zielquotenprogramm“ unter Kreisky wurde der Bau von berufsbildenden Schulen forciert, was fortan insbesondere Kindern aus Arbeiterfamilien und nicht-akademischen Haushalten den Weg in qualifizierte Berufe und an die Universitäten eröffnete. Die Investitionen von damals rentieren sich bis heute – in den letzten 50 Jahren hat sich die Zahl der Schüler:innen an BMHS mehr als verdreifacht. Heute besuchen rund 182.000 Jugendliche eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule, mehr als doppelt so viele wie an einer AHS-Oberstufe. Gerade höhere berufsbildende Schulen, wie z. B. HTL, HAK oder HLW, verbinden Allgemeinbildung mit Berufsausbildung und schließen mit der Studienberechtigung ab. Seit 1990 legen jährlich mehr Schülerinnen und Schüler eine Reife- und Diplomprüfung an einer BHS ab als an einer AHS.

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Alte Konfliktlinien zwischen Berufsbildung und Akademikerquote

Die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte ist also vor allem eine Erfolgsgeschichte der Berufsbildung und nicht der Gymnasien. Die Einschätzung dieser Entwicklung ist aber manchmal widersprüchlich. So kritisiert die OECD in ihren Berichten immer wieder die im Ländervergleich niedrigere Akademiker:innenquote in Österreich, lobt dann aber wenige Seiten später das österreichische Modell der Berufsbildung. Ein zu starrer Fokus auf die Akademiker:innenquote greift jedenfalls zu kurz – sie misst Bildung ausschließlich an formalen Hochschulabschlüssen und sagt wenig über das tatsächliche Qualifikationsniveau einer Gesellschaft aus. Österreich bildet seit Jahrzehnten hochqualifizierte Fachkräfte aus, nur eben nicht ausschließlich an Universitäten und Fachhochschulen.

Bildungsaufstiege vor allem über berufsbildende Schiene

Zudem wird in den Debatten oft übersehen, welche wichtige Rolle berufsbildende Schulen für soziale Aufstiege gehabt haben und nach wie vor haben. Gerade berufsbildende höhere Schulen sind aufstiegsorientiert, viele Absolvent:innen sind die Ersten in ihrer Familie mit einer Matura. Der Soziologe Johann Bacher hat erst unlängst nachgewiesen, dass zwar der Einfluss des elterlichen Bildungshintergrunds auf die Chance, selbst eine Matura zu absolvieren, seit Mitte der 1990er Jahre zugenommen hat, dass aber berufsbildende höhere Schulen damals wie heute eine kompensatorische Funktion erfüllen „und die Abhängigkeit des Besuchs einer maturaführenden Schule von dem Wohnort, der sozialen Herkunft und dem Geschlecht abschwächten“. Gleichzeitig zeigte die AK-Schulkostenstudie aber auch, dass die Schulkosten in den berufsbildenden Schulen am höchsten liegen – allein für laufende Kosten unterm Schuljahr geben Eltern im Schnitt rund 1.200 Euro pro Jahr aus, wobei vor allem digitale Geräte sowie fachspezifisches Schulmaterial (z. B. Schutzkleidung, Werkzeuge, Fachsoftware oder Arbeitsbücher) teure Anschaffungen für den Schulbesuch sind.

Prognose: Wachstum hält an

Laut der aktuellsten Schulbesuchsprognose der Statistik Austria wird die Zahl der Schüler:innen an berufsbildenden mittleren und vor allem höheren Schulen in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Der stärkste Anstieg ist an höheren sozialberuflichen Schulen (+80% bis 2033) und mittleren Schulen für pädagogische Assistenzberufe (+41%) zu erwarten. In Summe ist in den nächsten zehn Jahren mit einer Zunahme um 17.000 Jugendliche an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen zu rechnen. Im Vergleich dazu fällt der prognostizierte Zuwachs an den Oberstufen der Gymnasien mit 7.000 deutlich niedriger aus.

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Dieser Zustrom zu berufsbildenden Schulen bildet sich jetzt schon in den Klassengrößen ab. Vor allem in der neunten Schulstufe sind die Klassenzimmer voll. In 40 Prozent aller ersten Klassen einer BHS und in 26 Prozent einer BMS sitzen heute 30 oder mehr Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Im Vergleich dazu sind nur 9 Prozent der ersten Klassen an einer AHS-Oberstufe so voll.

Schulbau: AHS profitieren, BMHS warten

Diese Klassengrößen und zu erwartenden Schüler:innenzahlen sollten sich eigentlich in den Schulinvestitionen widerspiegeln. Die Grundlage für künftige Neu- und Ausbauten bildet das „Schulentwicklungsprogramm“ der Vorgängerregierung aus 2020. Angesichts der Prognose zum Anstieg der Schüler:innenzahlen sind vor allem die geplanten Erweiterungen und Neubauten relevant. Eine genauere Analyse zeigt nun:

  • Das Schulentwicklungsprogramm sieht bis 2030 insgesamt 41 Neu- oder Ersatzbauten von Schulen vor – davon 28 Gymnasien (68%) und nur 13 berufsbildende Schulen (32%).
  • Rechnet man nur die geplanten Neubauten, d. h. neuen Schulstandorte, zusammen, dann sollen bis 2030 österreichweit 20 neue Gymnasien und nur 4 neue berufsbildende Schulen gebaut werden.
  • Bei Ausbauten von bestehenden Schulstandorten zeigt sich ebenfalls ein Ungleichgewicht: Zwei Drittel aller geplanten Schulerweiterungen entfallen auf AHS, nur ein Drittel auf BMHS.

Qualität braucht Raum

Die geplanten Schulinvestitionen passen also nicht mit den Schulbesuchsprognosen zusammen. Berufsbildende Schulen brauchen aber nicht nur mehr Klassenzimmer, sondern auch mehr und besser ausgestattete Werkstätten, Labore, Küchen oder Übungsräume. Überfüllte Klassenzimmer schränken den Unterricht ein und gefährden die Ausbildungsqualität. Schon allein aus diesem Grund sollte das Schulentwicklungsprogramm überdacht und überarbeitet werden. Im Regierungsprogramm findet sich diesbezüglich auf Seite 213 die Übereinkunft, das Schulbauprogramm „umgehend einer Neuausrichtung“ zu unterziehen, „um auf aktuelle Anforderungen des Arbeitsmarkts (Fachkräftebedarf), digitale Ausstattungserfordernisse, moderne Lehr- und Lernformen (digitales Klassenzimmer) und die Anforderungen an Klima- und Energietechnik ausgerichtet zu werden“.

Bildungspolitik ist Standortpolitik

Investitionen in berufsbildende Schulen sollten aber auch vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens am Arbeitsmarkt vorangetrieben werden. HTLs, HAKs, Handelsschulen, humanberufliche Schulen oder Bildungsanstalten für Elementarpädagogik sind mehr als nur Alternativen zum Gymnasium – sie bilden das Rückgrat der österreichischen Fachkräfteversorgung. Rund eine Million und damit ein Viertel aller Beschäftigten in Österreich haben eine berufsbildende mittlere oder höhere Ausbildung absolviert, sie sind nach Lehrabsolvent:innen die zweitgrößte Gruppe am Arbeitsmarkt. Besonders in technischen, kaufmännischen und sozialen Berufen sind Absolvent:innen einer BMHS gefragt. Dies wird umso wichtiger werden, als es in den kommenden Jahren gerade in diesen Berufen aufgrund umfangreicher Pensionierungen zu Engpässen an Fachkräften kommen wird. Gleichzeitig müssen sich auch die berufsbildenden Schulen rascher an die aktuellen Umbrüche am Arbeitsmarkt anpassen. Lehrpläne brauchen sowohl Raum für eine stärkere Fundierung in den Basiskompetenzen als auch eine stärkere Integration digitaler Kompetenzen und projekt- bzw. problembasierten Lernens.

Wie zukunftsträchtig berufsbildende Schulen sind, sieht man letztlich auch an den vielen Spezialisierungen einzelner Schulstandorte: Von Biomedizintechnik und Umwelt- und Energiemanagement über Gesundheits- und Sozialmanagement bis hin zu Fachschulen für pädagogische Assistenzberufe – berufsbildende Schulen bilden die dringend benötigten Fachkräfte von morgen aus. Vorausgesetzt es gibt den Platz dafür.


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