„Schluss mit den braven Tanten“: Wie sich Kindergarten­personal und Gewerk­schaften für bessere Arbeits­bedingungen einsetzen

05. November 2025

Das Wiener Kindergartenpersonal ist in den letzten Jahren mehrmals lautstark auf die Straße gegangen, um auf seine Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Während die Probleme im Sektor immer gravierender werden, nimmt das Selbstbewusstsein und der Kampfgeist der Berufsgruppe zu. Eine Betriebsrätin fasste die Entwicklung treffend zusammen: „Schluss mit den braven Tanten!“ Doch wie kam es dazu – und wie kann es im Arbeitskampf weitergehen?

Der Care-Sektor ist in der Krise

Die zunehmende weibliche Erwerbsbeteiligung ohne entsprechende Umgestaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, bei gleichzeitiger staatlicher Austeritätspolitik, ökonomischem Druck und starken Arbeitsbelastungen in der bezahlten Care-Arbeit, haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer zunehmenden Krise im Care-Sektor geführt. Die Corona-Pandemie hat den Druck noch weiter verstärkt. Care-Arbeit kann unter den aktuellen Bedingungen nicht qualitativ ausgeübt werden. Die Leidtragenden sind zum einen Menschen, die auf Care-Arbeit angewiesen sind. Gleichzeitig sind es aber auch die Care-Arbeiter:innen, die oft über ihre eigenen Grenzen gehen, um ihrem eigenen Anspruch an eine gute Versorgung trotz der widrigen Bedingungen gerecht zu werden. Diese zunehmenden Widersprüche haben in den letzten Jahren zu einem globalen Anstieg von Care-Protesten geführt, der auch in Österreich beispielsweise im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen zum SWÖ-Kollektivvertrag 2020, in der Protestbewegung der Freizeitpädagog:innen oder in Warnstreiks in Krankenhäusern seinen Ausdruck fand. Auch in der Elementarpädagogik kam es in Wien zwischen 2021 und 2024 aufgrund des zunehmenden Arbeitsdrucks erstmals zu Protesten während der Arbeitszeit.

Erschwerte Bedingungen für den Arbeitskampf im Kindergarten

Kindergärten haben in den letzten Jahren sowohl quantitativ als auch qualitativ einen Bedeutungszuwachs erfahren. Sie werden zunehmend als erste Bildungseinrichtung verstanden und der Ausbau wird vorangetrieben. Um dem gerecht zu werden, bräuchte es jedoch dringend Anpassungen der Rahmenbedingungen (z. B. kleinere Gruppen, bessere Pädagog:innen-Kind-Schlüssel, mehr Vorbereitungszeit) sowie mehr Personal. Folglich gehört Überlastung heutzutage zum Alltag des Kindergartenpersonals. Gleichzeitig verspüren viele Elementarpädagog:innen Frust, da sie ihr Wissen unter den herrschenden Bedingungen nicht anwenden können. Als Resultat verlassen viele das Berufsfeld, was den Personalmangel weiter verschärft:

„Uns als Pädagog:innen brauchst du das gar nicht als Auftrag geben, wir sehen das als Berufung. Ja, viele Kolleg:innen kommen direkt aus der Ausbildung mit sehr hohen Erwartungen und mit sehr viel Freude, was sie den Kindern alles mitgeben möchten. Und verzweifeln dann sehr bald an den Bedingungen, die sie vorfinden, weil sie sehr häufig am Abend heimgehen mit diesem Gefühl: ‚Habe ich jedes einzelne Kind genauso gefördert, wie es ihm zugestanden wäre?‘ […] Und viele von uns verwehren sich auch gegen diesen ‚Fachkräftemangel‘. Wir haben keinen Fachkräftemangel. Die Politik bildet ausreichend Elementarpädagog:innen jährlich aus. Es sind nur die unzureichenden Arbeitsbedingungen, aufgrund derer diese Menschen nicht ins Berufsfeld einsteigen oder bleiben.“ (Betriebsrätin)

Aus Gewerkschaftssicht ist die Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) aus verschiedenen Gründen ein besonderer Sektor: Zum einen handelt es sich hier nicht um eine klassische Arbeit-Kapital-Beziehung, da es sich bei den Arbeitgebern um Gemeinden bzw. um Non-Profit-Organisationen handelt. Da der Sektor zu weiten Teilen öffentlich finanziert sowie die Rahmenbedingungen gesetzlich geregelt sind, hat auch die Regierung einen maßgeblichen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen. In Österreich fallen die Kindergärten in den Verantwortungsbereich der Bundesländer, was wiederum bedeutet, dass es neun verschiedene Landesgesetzgebungen gibt, in denen die Rahmenbedingungen wie Gruppengrößen oder Vorbereitungszeit geregelt sind. Gleichzeitig liegt es aber auch am Bund, quantitative und qualitative Ziele für den Sektor zu definieren und ausreichend finanzielle Mittel über den Finanzausgleich oder andere Finanzierungskanäle bereitzustellen. Es fehlt also ein eindeutiges Gegenüber im Arbeitskampf – und die Arbeitgeberseite nutzt das oft für sich, indem sie jeweils den anderen Ebenen die Verantwortung in die Schuhe schiebt.

„Es ist ein Pingpong-Spiel jetzt, das die Regierung begonnen hat: ‚Da sind wir nicht zuständig, da sind die Länder zuständig‘ und die Länder sagen: ‚Wir haben das Geld nicht‘; und es ist so ein Hin-und-her-Gespiele.“ (Gewerkschaftsfunktionär:in)

Eine Besonderheit im FBBE-Sektor ist außerdem das Fehlen eines einheitlich angewandten Kollektivvertrags, da sich der Großteil der privaten Trägerorganisationen dagegen entschieden hat, Teil einer kollektivvertragsfähigen freiwilligen Berufsvereinigung (beispielsweise der Sozialwirtschaft Österreich) zu werden. Stattdessen wird im privaten Bereich ein Mindestlohntarif angewandt und darüber hinaus werden in vielen Einrichtungen Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Im öffentlichen Bereich gelten wiederum andere Gehaltstabellen sowie Rahmenbedingungen. Das bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen innerhalb der Berufsgruppe uneinheitlich sind. Ebenso gilt das für die gewerkschaftlichen Zuständigkeiten – insgesamt vier Teilgewerkschaften vertreten jeweils bestimmte Teile der Berufsgruppe (GPA, younion, vida und GÖD), und darüber hinaus nehmen AK und ÖGB den Sektor aus einer Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeitsperspektive in den Blick. Die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, Zuständigkeiten und Interessen können den kollektiven Arbeitskampf hemmen – zudem Zugeständnisse der Politik oft nur Teilgruppen treffen, was die Solidarität innerhalb der Berufsgruppe weiter erschwert.

Die Antwort der Gewerkschaften zwischen Stellvertreterlogik …

Vor dem Hintergrund der Krise in den österreichischen Kindergärten haben die Gewerkschaften in den letzten Jahren viel Einsatz gezeigt. Traditionell stehen in der österreichischen Sozialpartnerschaft kompromissorientierte Konfliktlösungsstrategien im Vordergrund. Dementsprechend wurde auch im FBBE-Sektor auf verschiedenen institutionalisierten Wegen versucht, Einfluss auf Gesetzgeber:innen im Rahmen der tripartistischen Sozialpartnerschaft zu erlangen. Die gewerkschaftlichen Akteure wollten sich als Expert:innen für die Arbeits- und Lebensrealitäten in Kindergärten verstanden wissen und richteten ihre Forderungen beispielsweise in direkten Gesprächen oder im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit an Politiker:innen. Darüber hinaus bemühte man sich um Übereinkommen zwischen den Sozialpartnern, um so den Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. 2023 fand beispielsweise ein „Kinderbetreuungsgipfel“ der Sozialpartner:innen und der IV in der Hofburg statt. Weiters gab es einige medienwirksame Protestaktionen von Gewerkschafter:innen und Betriebsrät:innen (z. B. 2021, 2022), die die Beschäftigten aber nicht direkt miteinbezogen. So entsprachen sie der für die österreichischen Arbeitsbeziehungen typischen Stellvertreterlogik.

… und Konfliktlogik

Gleichzeitig gab es aber auch Akteur:innen in der Gewerkschaftsbewegung, deren gewerkschaftliches Selbstverständnis sich stärker an einer Konfliktlogik orientierte. Dies vor allem aufgrund der anhaltenden Erfahrung, dass weniger konfliktorientierte Strategien bisher nicht zu den notwendigen Veränderungen führten. Denn bereits seit Anfang der 2010er Jahre engagierten sich in Wien Betriebsrät:innen der GPA im Rahmen der „Themenplattform für Elementar-, Hort- und Freizeitpädagogik“ für bessere Arbeitsbedingungen in pädagogischen Berufen.

„Und dann war so die Sache, okay, es verändert sich halt jetzt nicht so massiv doll viel, wir müssen größer denken, es wurde immer probiert, Pressemitteilungen […], einmal wurde zum Beispiel wissenschaftlich erhoben, wie viel Geld man sich ersparen würde als Volkswirtschaft, wenn man Geld in den Kindergarten stecken würde, interessiert halt nur leider keinen, dann gab es Aktionen, wo man gebastelte Schachteln vor das Rathaus gestellt hat, interessiert nur leider keinen, man hat sie dann direkt vor das Büro gestellt, interessiert nur leider keinen, immer mit Presse auch mit dabei […]. Dann hat man überlegt, schon vor Corona, wir brauchen etwas Größeres, welche Mittel können wir weiter ausschöpfen?“ (Betriebsrätin)

Bei der Mobilisierung von Beschäftigten konnte man auf den Erfahrungen einer früheren Protestbewegung – des sogenannten „Kindergartenaufstands“ – aufbauen. Bereits um die 2010er Jahre hatte diese Gruppe Demonstrationen von Elementarpädagog:innen organisiert. Diese fanden jedoch außerhalb der Arbeitszeit statt und konnten so zwar etwas Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber nicht den notwendigen Druck erzeugen, um tatsächlich Veränderungen herbeizuführen. Somit war klar, dass die erneuten Proteste während der Arbeitszeit stattfinden sollten – und dazu wurde das Mittel der Betriebsversammlungen im öffentlichen Raum genutzt, die von den Betriebsrät:innen einberufen werden konnten.

„Es war das erste Mal, dass Pädagog:innen während der Dienstzeit auf der Straße waren, eigentlich ein historischer Moment, wenn man so will.“ (Betriebsrät:in)

Diese Betriebsversammlungen, bei denen jeweils zwischen 4.000 und 12.000 Personen teilgenommen haben (2021, 2022, 2023, 2024) wurden als großer Erfolg wahrgenommen. 2023 war die Versammlung besonders groß, weil auch in den öffentlichen Kindergärten zur Demonstration mobilisiert wurde. Bereits 2021 und 2022 hat die younion parallel zu den Betriebsversammlungen der GPA und der vida Demonstrationen organisiert, aber dass es 2023 gelungen ist, alle drei zuständigen Gewerkschaften in Wien in einer Aktion zu vereinigen, kann als Gewinn für die Bewegung gewertet werden. Die Erfahrung, mit vielen anderen Kindergartenbeschäftigten gemeinsam auf die Straße zu gehen, hat das Selbstbewusstsein, das Gemeinschaftsgefühl und den Kampfgeist des Kindergartenpersonals weiter gestärkt.

„Für die Kolleg:innen war es dann schon dieses Gefühl ‚Ich bin nicht allein‘. Oder in meinem Kindergarten, meiner Einheit, uns geht es nicht allein darum, dass es besser gehen muss. Wir sind viele. Und wir gemeinsam können was bewegen. Wir gemeinsam können ein Zeichen setzen.“ (Betriebsrät:in)

Medial und politisch wurden die Versammlungen und Demonstrationen ebenso als Erfolg wahrgenommen. Eine Umfrage ergab, dass die Gesellschaft den Protesten mehrheitlich positiv gegenüberstand. Weiters konnten in unmittelbarer zeitlicher Nähe politische Erfolge verzeichnet werden, denn sowohl 2021 als auch 2023 wurden nur kurz davor Verbesserungen angekündigt. Diese sind zwar vor dem Hintergrund der dramatischen Gesamtsituation weiterhin unzulänglich, können aber dennoch als erste Erfolge gefeiert werden.

Wie könnte es mit dem Arbeitskampf im Kindergarten weitergehen?

Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren viel Kreativität bewiesen. Erste Erfolge konnten bereits erreicht werden, aber große Würfe blieben bisher aus. Wie könnten die Gewerkschaften ihren Forderungen nach besseren Rahmen- und Arbeitsbedingungen also noch mehr Nachdruck verleihen?

Grundsätzlich ist es wenig überraschend, dass der FBBE-Sektor unterfinanziert ist. Im Kapitalismus wird die Reproduktion von Leben und Umwelt, also u. a. Care-Arbeit, strukturell vernachlässigt. Austeritätspolitik führt dazu, dass längst überfällige Investitionen weiterhin ausbleiben. Daher ist es wichtig, den Arbeitskampf der Elementarpädagog:innen in eine größere Debatte eines sozialen und ökologischen Umbaus unseres Wirtschaftssystem einzubetten und mit anderen Kämpfen, wie mit dem Kampf um Klimagerechtigkeit, den Forderungen nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung und einer feministischen Budgetpolitik oder einer grundsätzlichen Priorisierung der Daseinsvorsorge in gewerkschaftlichen Strategien zu verbinden. Dies ist beispielsweise über Allianzen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren möglich, wie es das Bündnis von Busfahrer:innen und Klimaaktivist:innen „Wir fahren gemeinsam“ vorzeigt. Solch eine Kampagne kann außerdem dabei helfen, den Organisationsgrad unter den Beschäftigten durch gezieltes Organising zu erhöhen – und das braucht es auch, um den Arbeitskampf auch im klassischen Sinne weiter zu eskalieren, wie es dem einen oder der anderen Betriebsrät:in im Hinblick auf die Zukunft vorschwebt:

„Vielleicht muss es eskalieren, da meine ich jetzt nichts Tragisches, aber im Sinne von: Ein richtiger Streik wäre schon mal angebracht, sage ich mal.“ (Betriebsrät:in)

Dieser Blogbeitrag basiert auf einer Masterarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Titel „‚Schluss mit den braven Tanten‘ A Case Study about Labour Dispute Strategies in the Viennese Early Childhood Education and Care Sector 2020–2024“, in deren Rahmen Interviews mit Betriebsrät:innen und Gewerkschafter:innen geführt wurden.

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