Bildung ist in Österreich grundsätzlich frei zugänglich und verfügbar. Aber wer findet wirklich Zugang zu (Weiter-)Bildung? Wer verfügt über die nötigen Ressourcen – Zeit, Geld, Vorwissen, Organisatorisches? Aktuelle Erhebungen zeigen, dass Weiterbildung durch (elitäre, oft unsichtbare) Zugangsbeschränkungen und -hürden als eine Art Ware in Österreich verteilt, vererbt und „gegönnt“ wird. Durch die Schaffung von mehr Rechten, selbstbestimmten Möglichkeiten und fairen Zugängen können Menschen zu Weiterbildung ermutigt und bestärkt werden.
Rund ein Drittel der Erwachsenen in Österreich verfügt über nur niedrige Lesekompetenzen. Die aktuelle PIAAC-Studie (PISA für Erwachsene) macht deutlich, dass gute Lesekompetenzen besonders auch für ältere Personen im arbeitsfähigen Alter eine Herausforderung darstellen. Es stellt sich also die Frage, wen (Erwachsenen-)Bildungsmaßnahmen erreichen und wer sie nutzt/nutzen kann. Längst bekannt ist (Bildung in Zahlen), dass Bildung die Chancen am Arbeitsmarkt deutlich erhöht. Die Erwachsenenbildungserhebungen machen deutlich, dass Bildung insbesondere im Erwachsenenalter bzw. im arbeitsfähigen Alter extrem ungleich verteilt ist, was für Menschen mit niedrigerem Schulabschluss, sozialen Benachteiligungen und höherem Alter deutliche Benachteiligungen mit sich bringt. Auch im internationalen Vergleich weist Österreich hinsichtlich beruflicher Weiterbildung keine rosigen Daten auf (Europäische Erhebung über betriebliche Bildung). Denn der Anteil österreichischer Arbeitnehmer:innen mit betrieblicher Weiterbildung rangiert europaweit im unteren Drittel. Österreich hat also dringenden Handlungsbedarf.
Weiterbildungsaktivität steigt mit bereits vorhandenem Bildungsniveau
Die Erwachsenenbildung erreicht weiterhin vor allem Menschen mit hohem Bildungsabschluss. Die Beteiligung an Schulungen und Weiterbildungen hängt signifikant mit dem bereits vorhandenen Bildungsniveau zusammen. Studien (siehe Adult Education Survey und Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung) zeigen: Je höher das Bildungsniveau, desto eher eine Teilnahme. Und mit höherem beruflichen Alter nimmt die Beteiligung ab.
Auch eine aktuelle Arbeitsklima-Index-Erhebung der AK OÖ kommt zum Schluss, dass vor allem jene Bildungsangebote nutzen, die bereits sehr viele Aus- und Weiterbildungen besucht haben. Vereinfacht kann gesagt werden: Je höher das Bildungsniveau bzw. die berufliche Position, desto eher kommt es auch zur Teilnahme an Weiterbildungen. Demnach haben im ersten Halbjahr 2025 insgesamt rund 41 Prozent aller österreichweit Befragten in den letzten 12 Monaten an einer Weiterbildung – egal ob im Betrieb oder außerhalb – teilgenommen. Aber Hilfsarbeiter:innen (17%), einfache Angestellte (24%), Personen mit Pflichtschulabschluss (26%) und Lehrabschluss (32%) nehmen deutlich seltener an Bildung teil.
Chancen verbessert – aber nicht für alle gleich!
Besonders weiterbildungsaktiv sind Personen mit Hochschulabschluss (61%) und leitende Angestellte (59%). Auffallend ist, dass bei diesen Personengruppen oftmals Förderungen durch den Betrieb oder der Wunsch der Arbeitgeber:innen eine Rolle gespielt hat. Überdies wird diesen Beschäftigtengruppen Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht: Hochschulabsolvent:innen, qualifizierte und leitende Angestellte nennen als Motive zur besuchten Weiterbildung vorwiegend persönliches Interesse oder persönliche Weiterentwicklung. Wer bereits gute Bildung hat, der kann diese noch weiter verbessern. Ein Phänomen, das der Soziologe Rainer Geißler vor dem Hintergrund der Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte als paradox bezeichnet. Es hat sich die Chancenstruktur aller Schichten zwar generell verbessert, die schichttypischen Ungleichheiten zwischen privilegierten und benachteiligten Gruppen aber haben sich vergrößert.
Die Arbeitsklima-Index-Erhebung macht deutlich: Je höher die Schulbildung, je höher die berufliche Stellung, je höher die Wochenarbeitszeit, je jünger die Teilnehmenden, desto eher fand in den letzten 12 Monaten berufliche Weiterbildung statt. Tendenziell zeigt sich, dass einige Personengruppen eher in den Genuss von unternehmensfinanzierter Weiterbildung im Rahmen der Arbeitszeit kommen. Während sieben von zehn Männern die Weiterbildung zur Gänze in der Arbeitszeit und vom Betrieb finanziert bekommen, trifft dies bei den Frauen nur auf gut die Hälfte der Weiterbildungsaktiven zu. In abgeschwächter Form zeigt sich diese Schieflage auch zugunsten folgender Gruppen:
- Personen ab 40 Jahren,
- mit Lehrabschluss,
- mit mehr als 10 Jahren Betriebszugehörigkeit,
- mit mehr als 30 Wochenarbeitsstunden,
- in größeren Betrieben ab 500 Beschäftigten.
Um einen Zugang für alle zu ermöglichen, kommt den Betriebsräten einerseits und den Personalverantwortlichen andererseits die wichtige Rolle zu, förderliche Rahmenbedingungen im Betrieb auszuverhandeln und unterstützend einzuwirken. Die Weiterbildungsbeteiligung in Unternehmen mit Betriebsrat liegt mit 50 Prozent deutlich höher als in Betrieben ohne Betriebsrat (31%) und die Übernahme von Kosten und Zeit wird deutlich öfter (71%) erzielt als in Betrieben ohne Betriebsrat (57%).
Mehr Rechte wirken ausgleichend
Ein effektiver Ansatz, um Arbeitnehmer:innen unabhängig von vorangegangenen Bildungsverläufen verlässlich Weiterbildung zukommen zu lassen, ist anhand des Unterrichts- und Gesundheitswesens ablesbar. Hier führen Weiterbildungsverpflichtungen und verbriefte Rechte auf Weiterbildung zu sehr hohen Weiterbildungsbeteiligungsquoten von 75 Prozent bzw. 62 Prozent. Weiterbildungsverpflichtungen haben auch den Effekt, dass Arbeitgeber:innen vermehrt Bildungsangebote zur Verfügung stellen oder die Kosten übernommen werden.
Es braucht die Erkenntnis, dass Weiterbildungsinteressen aller Gruppen (unabhängig von vorangegangener Bildung, Geschlecht, Region, Branche, Stellung im Beruf etc.) förderwürdig sind und ermöglichende Strukturen seitens der Arbeitgeber:innen – beginnend bei den zeitlichen Aufwänden bis hin zur Kostenübernahme – wesentlich sind. Darüber hinaus benötigen spezielle Zielgruppen (niedrigqualifizierte Personen, Personen in beruflicher Neuorientierung, Personen mit besonderen Bedürfnislagen, Personen mit negativen Bildungserfahrungen) weiterführende Unterstützung und Ermutigung, um deren Bildungsaspirationen zu bestärken.
Wenn es um mehr Verteilungsgerechtigkeit bei Bildungszugängen und bei der Inanspruchnahme von Bildungsangeboten geht, braucht es auch im Bildungssystem für Erwachsene mehr Rechte (Recht auf Weiterbildung) und gezielte (finanzielle und existenzsichernde) Unterstützungen.
Es braucht endlich klare Maßnahmen und Rahmenbedingungen, die selbstbestimmte Möglichkeiten und faire Zugänge zu Bildung schaffen und Menschen ermutigen und bestärken. Für den langen Lebensabschnitt der Erwachsenenbildung müssen vor allem auch ausreichend unterstützende und begleitende Formate, insbesondere für benachteiligte Gruppen, dringend ausgebaut werden, gerade auch angesichts des Strukturwandels. Digitalisierung, ökologische Transformation und die demografische Entwicklung bedeuten eine enorme Dynamik bei den aktuellen Anforderungen und damit wesentlich mehr Bedarf an beruflicher Um- und Neuorientierung. Besonders für geringer qualifizierte Arbeitnehmer:innen bedeuten Aus- und Weiterbildung Aufstiegsmöglichkeiten und verbesserte Chancen am Arbeitsmarkt. Fehlende Informationen über Bildungsangebote und Fördermöglichkeiten verstärken noch weiter die unterschiedliche Beteiligung an Weiterbildung. Bildungsberatungsangebote und begleitende Maßnahmen leisten hier wichtige Unterstützung und Aufklärung.
Struktureller Mangel
In Anlehung an die Bildungs-Kumulationsthese kann somit festgehalten werden, dass Faktoren aus der vorangegangenen Bildungsbiografie (z. B. negative Schulerfahrungen, niedriger formaler Abschluss) limitierend weiterwirken, indem Ausdrucksformen schichtspezifischer Ungleichheiten (z. B. seltenere Förderung durch Arbeitgeber:innen) als individuelles Versagen abgetan werden. So entpuppt sich der vermeintlich individuelle Grund „kein Interesse“ bei genauerem Hinsehen als strukturelles Problem, bestehend aus unpassenden Rahmenbedingungen, wenig Ermutigung und fehlender Selbstbestimmung. Dieser Befund unterstreicht die Wichtigkeit der anbieterunabhängigen, an Lebenslagen und Interessen der Arbeiternehmer:innen ausgerichteten Bildungsberatung ganz generell und gerade für diese Zielgruppe besonders. Es braucht klare Ansprüche auf Weiterbildung und eine besondere Ermutigung sogenannter „bildungsferner“ Gruppen. Dazu gehören kostenfreies Nachholen von Lehrabschlüssen, die Übernahme von Prüfungsgebühren am zweiten Bildungsweg, die Anerkennung von beruflich erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten („Du kannst was“) oder die Einführung eines existenzsichernden Qualifizierungsgeldes mit Rechtsanspruch, um selbstbestimmte Aus- und Weiterbildung zu gewährleisten.
Revival eines humanistischen Bildungsverständnisses
Der Trend, Bildung als ökonomische Ware zu sehen, die rentabel sein muss, potenzielle „Kund:innen“ lockt, in die es sich „zu investieren“ lohnt, ist Ausdruck des Abschieds von einem humanistischen Bildungsverständnis. Ignoriert und außer Acht gelassen werden dabei allzu oft unterschiedliche Startchancen, Grundvoraussetzungen, soziale Prägungen bzw. Herkunft, Habitus, Vereinbarkeitsfragen (Beruf, Privates, Weiterbildung) und der Rucksack, den viele Erwachsene und Berufstätige schon seit der Schulzeit durchs Leben tragen. Von echter sozialer Durchlässigkeit sind wir somit noch weit entfernt. Die sich über viele Generationen fortsetzende Bildungsvererbung manifestiert sich weiter.
Auch die Erwachsenen- und Weiterbildungsexpert:innen Elke Gruber und Werner Lenz orten im Porträt zur österreichischen Erwachsenen- und Weiterbildung hohen Handlungsbedarf in den Perspektiven und Tendenzen auf ein gerechteres und durchlässigeres Bildungssystem und weisen auf den Reformbedarf des Bildungswesens und die „besondere integrative Rolle der Erwachsenenbildung“ hin. Denn (Weiter-)Bildung erhöht individuelle (berufliche) Chancen und verbessert die Mobilität sowie die Möglichkeiten am Arbeitsmarkt. Letztendlich verstärkt Bildung auch Teilhabe an der Gesellschaft und an demokratischen Prozessen. Wir können uns nicht leisten, weiterhin Teile der Gesellschaft durch subtile Barrieren auszuschließen, ohne die gelebte Demokratie zu beschädigen. Bildung als für alle gut zugängliches und öffentlich verfügbares Gut sollte oberstes Ziel sein.