Dass die betriebliche Mitbestimmung eine Reihe an Vorteilen für Beschäftigte sowie Unternehmen mit sich bringt, belegt mittlerweile eine ganze Reihe von (europäischen bzw. internationalen) Studien. Dass Mitbestimmung im Aufsichtsrat über die engen Grenzen des Aufsichtsrates hinaus positiv wirkt, zeigt eine aktuelle Sonderauswertung.
Die Studie über die „Betriebliche Mitbestimmung in Österreich 2022“ zeichnet ein bemerkenswertes Bild über die Situation der Mitbestimmung in Österreich: Unter anderem zeigt sie zum einen aufseiten der Arbeitnehmer:innen eine hohe grundsätzliche Zustimmung zur gesetzlich geregelten Interessenvertretung der Beschäftigten auf betrieblicher Ebene. Dies gilt auch für Arbeitnehmer:innen, die keinen Betriebsrat haben. Hier ist der Wunsch nach einem Betriebsrat insbesondere im Fall von Problemen hoch.
Aufseiten der Betriebsratsmitglieder zeigt sie ein vielfältiges, komplexes Betätigungsfeld, das von den Betriebsratsmitgliedern mit hohem Engagement und Ressourcenaufwand bearbeitet wird. Die Betriebsratsarbeit ist zeitintensiv und vielfältig, geprägt durch eine Fülle an Tätigkeiten und Inhalten. Oft ist sie inhaltlich wie auch psychisch herausfordernd. Motiviert sind die Betriebsratsmitglieder dabei vor allem vom Bestreben, etwas verbessern zu wollen – sei es die generelle Situation der Beschäftigten, die Mitbestimmung zu stärken oder ein akutes Problem zu lösen. Geprägt wird die Betriebsratsarbeit zudem durch eine hohe Verbundenheit mit den Arbeitnehmer:innen im eigenen Betrieb und auch generell.
Oftmals geht die Betriebsratsarbeit auch mit erheblichen Belastungen einher. An erster Stelle nennen die befragten Betriebsratsmitglieder dabei die fehlenden Informationen seitens der Geschäftsführung. Aber auch das Gefühl, mit der Betriebsratsarbeit nicht genug bewirken zu können, sowie Zeitmangel sind häufig genannte Belastungsfaktoren.
Welche strukturellen Vorteile eröffnet die Vertretung im Aufsichtsrat?
Ausgehend von diesen generellen Befunden stellt sich die Frage, ob und welche – strukturell bedingten – Vorteile mit der Mitbestimmung im Aufsichtsrat, wie sie in Österreich geregelt ist, verbunden sind.
Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat öffnet für Betriebsratsmitglieder eine neue Arena der Mitbestimmung im Betrieb. Es steht wohl außer Frage, dass die Übernahme eines Aufsichtsratsmandates durch ein Betriebsratsmitglied mit zusätzlicher Arbeit und auch mit der Übernahme besonderer Haftungsrisiken durch das einzelne Mitglied verbunden ist. Dies kann – bei den angesprochenen Belastungen und der hohen Zeitintensität – durchaus die Frage nach dem „Cui bono?“ für das einzelne Betriebsratsmitglied aufwerfen.
Multivariate Analyse zeigt jene Wirkungen, die auf Aufsichtsratsmandat zurückzuführen sind
Um diese Frage beantworten zu können, wurden die Daten der angesprochenen Studie mittels multivariater statistischer Methoden vertiefend analysiert. Dazu konnten die Antworten von insgesamt 2.748 Betriebsratsmitgliedern, davon 507 mit Aufsichtsratsfunktion, berücksichtigt werden.
Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion sind kein Querschnitt aller Betriebsratsmitglieder. Sie sind im Durchschnitt etwas älter, schon länger aktiv, häufiger als Vorsitzende tätig und öfter freigestellt. Durch die aktuelle Sonderauswertung werden nur Unterschiede dargestellt, bei denen mit multivariaten statistischen Analysen abgesichert wurde, dass ein Effekt tatsächlich auf die Funktion zurückgeht und nicht auf eines der anderen Merkmale wie zum Beispiel die Freistellung.
Besserer Zugang zu Informationen, mehr Themen, höhere Zufriedenheit
Besonders wichtig ist, dass Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion seltener Probleme beim Zugang zu Informationen haben. Bei der Belastung durch fehlende Informationen, der die Betriebsratsmitglieder ausgesetzt sind, zeigt sich, dass eine Funktion im Aufsichtsrat eine gewisse Schutzfunktion hat. So sagt mehr als ein Drittel (36%) der Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion, dass sie sich dadurch stark belastet fühlen. Bei Betriebsratsmitgliedern ohne eine Funktion im Aufsichtsrat fällt diese Selbsteinschätzung negativer aus. So berichtet fast die Hälfte (49%), dass sie sich durch fehlende Informationen (stark) belastet fühlt.
Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion bearbeiten auch eine größere Anzahl an unterschiedlichen Themen. Das ist ein Indikator für einen Effekt auf die quantitativen Aspekte von Mitbestimmung. Auch ihre Zufriedenheit mit dem eigenen Mitspracherecht, also einem qualitativen Aspekt von Mitbestimmung, fällt im Schnitt etwas höher aus, insbesondere bei den Themen Nachhaltigkeit, betriebliche Sozialleistungen, Arbeitsbelastungen / Arbeitsintensität / Gesundheit, Kontroll- und Überwachsungsmaßnahmen / Datenschutz, Homeoffice und Vereinbarkeit. Exemplarisch sei die am Beispiel der Zufriedenheit mit Mitsprachemöglichkeiten bei Nachhaltigkeit und Klimaschutz dargestellt: Es zeigt sich, dass 37 Prozent der Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion mit den Mitsprachemöglichkeiten beim Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz sehr oder eher zufrieden sind. Bei Betriebsratsmitgliedern ohne Aufsichtsratsfunktion sind es mit 26 Prozent deutlich weniger. Auch informelle Mitwirkung ist in Betrieben mit mitbestimmtem Aufsichtsrat noch stärker ausgebaut.
Ressource für bessere Mitwirkung und Mitbestimmung!
Mit der Mitbestimmung im Aufsichtsrat kommen also einerseits tatsächlich – und wenig überraschend – zusätzliche Aufgaben auf das Betriebsratsmitglied (und nunmehrige Aufsichtsratsmitglied) zu. Andererseits berichten Betriebsratsmitglieder mit Aufsichtsratsfunktion vor allem (neben einem besseren Vertrauensverhältnis zur Unternehmensleitung und häufigeren einvernehmlichen Lösungen) von geringerer Belastung beim Zugang zu Informationen.
Auch die Zufriedenheit mit der betrieblichen Mitbestimmung wächst durch die Repräsentation im Aufsichtsrat. Das gilt nicht nur für Themen, die im Aufsichtsrat direkt behandelt werden.
Diese Wirkungen halten einer multivariaten Analyse stand: Das Aufsichtsratsmandat ist also für sich allein eine Ressource, die bessere Mitbestimmung und Mitwirkung durch den Betriebsrat im Unternehmen „triggern“ kann und ihm als Unterstützung dienen kann. Einerseits indem direkt im Aufsichtsrat – trotz struktureller „Ein-Drittel-Minderheit“ – Erfolge für die Belegschaft erzielt werden können, andererseits indem der Aufsichtsrat als wichtige Ressource für die Betriebsratsarbeit außerhalb des Aufsichtsrates genutzt werden kann.