Mit dem Vertrag von Lissabon ist 2009 die Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen und damit die Möglichkeit zur Ausverhandlung von Investitionsabkommen an die EU übergegangen. Seither verhandelt die EU-Kommission intensiv mit Drittstaaten. Bis dato ist aber kein einziges Abkommen mit Investitionsschutzbestimmungen in Kraft. Denn politisch ist insbesondere die darin enthaltene Investor-Staat-Streitbeilegung umstritten. Was fehlt, ist die grundsätzliche und faktenbasierte Auseinandersetzung damit, welche Probleme internationales Investitionsrecht heutzutage adressieren muss.
Investitionsschutzabkommen – nicht ohne die EU-Mitgliedsstaaten
Während die EU reine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten als sogenannte „EU only“-Abkommen ohne Zustimmung der einzelnen Mitgliedsstaaten abschließen kann, müssen Abkommen, die Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen zum Gegenstand haben, den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten zur Ratifikation vorgelegt werden. Auch sogenannte Portfolio-Investitionen, bei denen Beteiligungen unter 10 Prozent erworben werden, fallen in diese geteilte Zuständigkeit zwischen EU und Mitgliedsstaaten. Das Ratifikationserfordernis durch alle nationalen Parlamente ist der Grund, weshalb bis heute keine Investitionsschutzabkommen in Kraft getreten sind.
Denn politisch sind die zentralen Bestandteile von Investitionsschutzabkommen hochproblematisch und umstritten: Sie verleihen weitreichende Sonderrechte für ausländische Investor:innen, die in der Folge Staaten direkt verklagen können. Dies geschieht aber nicht vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern vor parallel existierenden Schiedsgerichten. Diese werden mit dem Investitionsschutzabkommen extra eingerichtet. Ein Schlag ins Gesicht für die global ohnedies stark unter Druck stehende Rechtsstaatlichkeit. Die Reaktion der EU-Kommission auf breite Kritik unterschiedlichster Stakeholder, etwa aus Justiz, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft, mündete jedoch in den letzten Jahren nicht darin, das System der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit per se infrage zu stellen. Vielmehr wurden in den Abkommen der neueren Generation lediglich verfahrensrechtliche Änderungen vorgenommen und Formulierungen aufgenommen, die das Recht der Staaten, gesetzgeberisch im öffentlichen Interesse tätig zu werden, „bekräftigen“. So wird die Paralleljustiz institutionalisiert und verstetigt und Staaten dürfen sich nun immerhin vor einem permanenten Schiedsgericht rechtfertigen, dass sie ein Klimaschutzgesetz erlassen haben, und auf das legitime Interesse der Öffentlichkeit am Klimaschutz verweisen. Kein Wunder also, dass auch die seit 2015 neu verhandelten Abkommen etwa mit Singapur, Vietnam und Chile nicht von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert wurden. Auch CETA, das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Kanada, ist aus diesem Grund seit 2017 nur vorläufig und mit Ausnahme der Investitionsschutzbestimmungen in Kraft.
Im vergangenen Jahr wurde unter der ungarischen Ratspräsidentschaft eine strategische Debatte zur Zukunft der europäischen Investitionspolitik ins Leben gerufen. Diese wird leider ihrem Titel nicht gerecht: Anstatt eine breite Debatte über die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der internationalen Investitionspolitik zu führen, verengen sich die Gespräche auf die Frage, wie ein Inkrafttreten der bestehenden Abkommen trotz politischer Uneinigkeit erreicht werden kann. Das wiederum bedeutet unweigerlich, dass bedenkliche Vorstöße gemacht werden, die de facto auf eine Umgehung der Mitentscheidungsrechte der nationalen Parlamente abzielen. Die wenig gehaltvollen Ratsschlussfolgerungen vom Dezember 2024 zeigen, wie wenig konstruktiv sich hier die Debatten im Kreis drehen.
Die Geister, die ich rief …
Zeitgleich steigen die durch Investitionsschutzabkommen eingegangenen Risiken für Staaten – auch des Globalen Nordens – immer mehr. Ein Paradebeispiel dafür sind die Niederlande. In den 1990er Jahren waren die Niederlande noch führend beim Abschluss von Investitionsschutzabkommen. Der damalige Premierminister war maßgeblich am Zustandekommen des Energiecharta-Vertrags beteiligt, dessen Ausarbeitung von fossilen Unternehmen wie ExxonMobil und Shell eng begleitet wurde. Als Kapitalexporteur ging es den Niederlanden vorwiegend darum, heimischen Unternehmen durch ISDS möglichst vorteilhafte Bedingungen für Auslandsinvestitionen in Ländern des Globalen Südens zu verschaffen.
Doch mittlerweile hat sich die Lage gewendet und Investor-Staat-Schiedsverfahren werden mehr und mehr gegen ihre Erfinder:innen zum Einsatz gebracht. Denn sie stellen ein mächtiges Werkzeug dar, um einerseits Regierungen unter Druck zu setzen, wenn den jeweiligen Interessen zuwiderlaufende gesetzgeberische Maßnahmen etwa zur Abmilderung der Energiekrise oder zum Schutz des Klimas gesetzt werden sollen. Andererseits ermöglichen sie ausländischen Investor:innen recht simpel, an viel höhere als nach nationalem Recht zustehende Schadenersatzzahlungen zu kommen, die regelmäßig auch künftige entgangene Gewinne umfassen.
Jüngstes Beispiel ist eine Klage von ExxonMobil gegen die Niederlande auf Basis des Energiecharta-Vertrags. Genau auf Grundlage des Vertrags, bei dessen Ausgestaltung sich ExxonMobil intensiv beteiligt hat. Die genaue behauptete Schadenshöhe ist unbekannt, beläuft sich aber nach inoffiziellen Quellen insgesamt auf Milliarden. Der Konzern verklagt die Niederlande, weil das größte niederländische Erdgasfeld in Groningen 2024 geschlossen wurde. Wie SOMO, das niederländische Centre for Research on Multinational Companies, aufgedeckt hat, haben ExxonMobil, Shell und der niederländische Staat dieses Erdgasfeld seit 1963 gemeinsam betrieben und dabei 64,7 bzw. 363,7 Milliarden Euro an Gewinn gemacht. Zeitweise betrugen die Einnahmen aus dem Erdgasfeld für die Niederlande 5 Prozent des BIP. Die Gasextraktionen hatten jedoch massive Folgen für die dort lebende Bevölkerung und Umwelt: Neben Bodenabsenkungen kam es zu rund 1.600 Erdbeben, die das Leben und die Sicherheit der Menschen in Groningen gefährdeten. 2023 stellte schließlich eine parlamentarische Untersuchung fest, dass die Unternehmen und der niederländische Staat wirtschaftliche Interessen vor die öffentliche Sicherheit gestellt hatten. Nach der Schließung des Erdgasfeldes hat ExxonMobil einerseits seine finanzielle Mitverantwortung für die Erdbeben negiert und andererseits mehrere überschneidende Klagen auf Schadenersatzzahlung für die Einstellung des Gasfeldes eingebracht. Der niederländische Staat hat zwischenzeitig einen Fonds zur Wiederherstellung der beschädigten Gebiete aufgesetzt.
Der Fall zeigt aufschlussreich auf, wie Investitionsschutzabkommen es einer privilegierten Gruppe der Gesellschaft ermöglichen, losgelöst von nationalem und Unionsrecht zu agieren. Als US-amerikanischer Konzern kann ExxonMobil nicht auf den Energiecharta-Vertrag zurückgreifen, weil die USA keine Vertragspartei sind. Deshalb greift der Konzern auf seine Niederlassung in Belgien zurück. Ein belgisches Unternehmen, das die Niederlande nach dem Energiecharta-Vertrag verklagt? Das wiederum dürfte es nach dem Europäischen Gerichtshof gar nicht geben: In zwei Entscheidungen 2018 und 2021 hat der EuGH festgehalten, dass Intra-EU-Verfahren unionsrechtswidrig sind, weil sie die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigen können. Die Entscheidungen des EuGH kümmern private internationale Schiedsgerichte indes nur bedingt.
Wie sehr die Staaten ihre eigenen Handlungsspielräume mit diesen Abkommen selbst aus der Hand gegeben und eingeschränkt haben, zeigt auch die Tatsache, dass die Niederlande bereits im vergangenen Jahr aus dem Energiecharta-Vertrag ausgestiegen sind, aber dennoch weiterhin verklagt werden können. Über eine sogenannte Sunset-Klausel gilt der Energiecharta-Vertrag 20 Jahre nach dessen Kündigung weiter. Mit allen möglichen Risiken und Konsequenzen für nationale Budgets, das Klima und Soziales.
Staaten werden bei solchen Schiedssprüchen im Schnitt zu Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt. Gelder, die von den Steuerzahler:innen bezahlt werden und die in weiterer Folge im Budget fehlen. Gelder, die für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen nicht mehr vorhanden sind: etwa für Investitionen in unser Gesundheits- und Pflegesystem, in unsere Infrastruktur und in die Aus- und Weiterbildung für qualitativ hochwertige green jobs.
Gerade in Ländern des Globalen Südens wird der Widerstand gegen Investor-Staat-Schiedsverfahren daher auch immer größer. In den letzten Jahren haben beispielsweise vier Länder, nämlich Indien, Südafrika, Bolivien und Cabo Verde ihre alten bilateralen Investitionsschutzabkommen mit Österreich beendet. Aber auch die EU trifft auf immer größere Ablehnung bei von ihr gestarteten Verhandlungen zum Investitionsschutz. Das betrifft insbesondere die aktuell laufenden Verhandlungen mit Indien und Indonesien, die beide ISDS ablehnend gegenüberstehen.
Investitionsabkommen neu denken!
Die europäische Investitionspolitik befindet sich mit ihrer derzeitigen Ausrichtung in einer Sackgasse. Die Diskussionen stecken fest. Die beharrlichen Versuche der EU-Kommission und mancher EU-Mitgliedsstaaten mehr oder weniger reformierte Modelle des Investor-Staat-Schiedsverfahrens durchzusetzen, sind nicht erfolgreich. Aufsehenerregende Schiedsverfahren der letzten Jahre haben immer mehr Staaten hellhörig werden lassen, weil ISDS die Handlungsspielräume der Staaten über Gebühr einschränkt und ein nicht-kalkulierbares Risiko und Belastung für den (künftigen) Staatshaushalt darstellt.
Es ist daher höchste Zeit, einen Schritt zurück zu machen und die Frage in den Raum zu stellen, welche Probleme heute mit internationalen Investitionsabkommen und Investitionsrecht überhaupt gelöst werden sollten. Das International Institute for Sustainable Development hat sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt und eine Roadmap erstellt, die Entscheidungsträger:innen bei einer solchen strategischen Debatte unterstützen soll.
Folgende Fragen müssen dabei adressiert werden:
- Wie können wir nachhaltige Investitionen im Einklang mit den Klimazielen und den SDGs weltweit fördern?
- Welchen Governance-Rahmen, welche Institutionen und welche Formen der Kooperation braucht es dafür?
- Wie können wir die bestehenden negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen von Investitionen effektiv adressieren?
- Wie können wir schädlichen Investitionsschutz durch ISDS beenden?
Die Investitionspolitik von morgen muss vor allem ausgewogen sein und im Allgemeininteresse stehen. Die einseitige Ausrichtung auf selektive wirtschaftliche Interessen in den bestehenden Investitionsschutzabkommen hat uns in eine schwierige Lage manövriert, aus der es nun auszubrechen gilt. Bei der Neuausrichtung des Investitionsrechts müssen daher mögliche Zielkonflikte etwa mit Klima- und Umweltschutz, Menschen- und Umweltrechten von Beginn an mitgedacht werden, um dem Ziel einer nachhaltigen Investitionspolitik im Interesse der Vielen möglichst gerecht zu werden.